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FUNKSTILLE - wenn zwei nicht mehr miteinander reden können - oder nicht wollen

Gemeinhin sagt man: jede Beziehung beginnt mit dem Gespräch und endet mit dem Gespräch. Manche Beziehungen enden mit Schweigen. “Sprache ist eine Waffe” - ist ein Buchtitel von Kurt Tucholsky. Auch Schweigen kann eine Waffe sein… Die Bedeutung umfasst ein breites Spektrum, vom Unvermögen, die eigene gegenwärtige Verfassung in Worte zu fassen bis hin zur Machtausübung - Dominanz, Bestrafung.

Was einstmals als emotionaler Höhenflug begonnen hat, mit Verliebtheit und dem dazu gehörenden Hormon-cocktail, ist in der Kälte der Sprachlosigkeit, der Erstarrung der Beziehung angekommen. Das hat eine Vorgeschichte, an der die beiden Protagonisten gleichermaßen beteiligt sind.

Ob und wie dieser Knoten zu öffnen ist, darauf werde ich zum Abschluss eingehen, doch zuvor ist es hilfreich zu wissen und zu verstehen, wie es dazu gekommen ist.

Man kann es benennen als das ENTZWEIUNGSSYNDROM, in dem vier Faktoren die entscheidende Rolle spielen:

1.  Die Frage des Rechts

2.  Unsere Vorstellungen

3.  Emotionen

4.  Ichbezogenheit

Gleich mal vorweg: es ist kein unentrinnbares Schicksal, wenn es soweit gekommen ist. Wenn beide Partner noch den Wunsch haben, zusammen zu bleiben, ist die Kenntnis dieser vier Faktoren außerordentlich hilfreich in der gemeinsamen Beratung und kann wieder zur Einigkeit führen. Das wird nicht einfach sein, erfordert viel Geduld und Verständnis, doch das weiß jeder, der schon mal in einer solchen oder ähnlichen Situation war: Beziehungsarbeit ist “Knochenarbeit”. 

Auch jeder einzelne Partner, der an seiner eigenen Entwicklung interessiert ist, kann damit arbeiten und grosse Fortschritte erzielen.

Die Frage des Rechts

Es gibt eine Meinungsverschiedenheit - wer von beiden hat mehr recht? 

Ein kleines Beispiel dazu: zwei Personen sitzen einander gegenüber, in einem Raum, der vielfältig ausgestattet ist, z.B. an einer oder zwei Seiten Fenster, verschiedene Möbel, Bilder und andere Gegenstände. Beide werden   aufgefordert, aus ihrer Perspektive den Raum zu beschreiben. Die Ergebnisse werden völlig unterschiedlich sein, doch welches ist “richtiger”? Aus seiner jeweiligen Sicht hat jeder der beiden recht. 

Natürlich ist keine der Beschreibungen die einzig richtige, denn jeder sieht ja nur einen Teil und keiner der beiden das Ganze. Lässt man beide die Plätze tauschen, entsteht in jedem der beiden sofort ein anderes Bild, das auch jenes seines Gegenübers mit einschließt.

Manche Paare sind erprobte Kämpfer - jeder will recht haben, den anderen korrigieren, sich selbst rechtfertigen. Sie haben zumindest EINE Übereinstimmung - die ihnen aber nicht bewusst ist: das Streiten als Methode anzuwenden.

Sie brauchen aber eine andere Übereinstimmung für ein echtes Gespräch und beiderseitige Beratung: wie sie von jetzt an in der fraglichen Situation miteinander einig vorgehen wollen. Jeder kann seine Ansichten und Meinungen haben, keiner muss diese dem anderen anpassen. Wer recht oder unrecht hat, steht nicht zur Debatte. Die Einigkeit besteht lediglich im gemeinsamen Vorgehen.

Das funktioniert klarerweise nicht über Nacht, man muss es üben - und dafür braucht man Geduld, mit dem anderen und mit sich selbst.

“Mit Geduld und einem Kamel kommt man durch jede Wüste”, sagt Rafik Schami, der syrische Dichter. Tröstlich, weil das bedeutet, daß man doch mal am Ziel ankommt.

Ein paar klare Regeln sollte man für dieses Gespräch beachten, vereinbaren und einhalten:

* Welche Zeit ist für beide die beste?

Einen Zeitrahmen vereinbaren, in dem beide keine                anderen Verpflichtungen haben.

* Der Ort - wo soll das Gespräch stattfinden?

Ein Raum mit angenehmer Helligkeit, Temperatur und vor allem störungsfrei.

* Keiner der beiden sollte in einer schlechten Stimmung sein - sonst kann man kaum erwarten, im Gespräch zur Beratung und erhofften Übereinstimmung zu kommen. Wenn die gute Stimmung während des Gesprächs nachlässt - ein Zeichen, dass das Gespräch nicht richtig gelaufen ist, ist es sinnvoller, das Gespräch zu vertagen. Klug wäre, das schon vorher zu vereinbaren, daß derjenige, der noch in einer besseren Stimmung ist, darauf aufmerksam macht. In einer schlechten Stimmung kann man kaum sachlich bleiben, egal, warum und wozu man sich für eine schlechte Stimmung entschieden hat.

* ich darf niemals mit einem Problem, das der Partner hat, beginnen - da fühlt er sich sofort kritisiert, herabgesetzt oder angeklagt. Dann hört er mir nicht mehr zu, sondern denkt nur noch darüber nach, was er am besten entgegnen könnte. Schuldzuweisungen sind immer fehl am Platz, sie sind wie Gift, das noch lange nachwirkt. 

Es könnte so klingen: “Du, ich möchte etwas mit dir besprechen, ich brauche deinen Rat. Wann passt es dir am besten?”  Das ist eine freundliche Einladung, die man gerne annimmt, leichter als eine Aufforderung.

“Was ist herrlicher als Gold? Das Licht. Was ist erquickender als Licht? Das Gespräch.” (J.W.Goethe)

Unsere Vorstellungen  

Das Vorstellungsvermögen ist eine typisch menschliche Funktion, die, im Gegensatz zu den fünf äusseren Sinnen, als ein innerer Sinn bezeichnet werden kann. Es ermöglicht uns u.a. die geistige Vorwegnahme einer Situation, eines Ablaufs, den wir erfolgreich bewältigen wollen - mentales Training mit Visualisierung. 

Vorstellungen sind aber auch Annahmen, die wir haben, ohne nachzuprüfen, ob sie auch stimmen.

Man ist zum ersten Mal irgendwo eingeladen und wird vorher von den Gastgebern gefragt, was man denn gerne essen möchte. Man möchte ihnen keinen grossen Aufwand bescheren mit kochen und sagt, Leberkäse mit Spiegelei und Kartoffelsalat. Das gibt´s dann auch - und so bei jeder weiteren Einladung, weil die Gastgeber nicht nochmals nachgefragt haben und der Gast nicht unhöflich sein wollte.

Hat´s g´schmeckt? - Ja, vielen Dank, sehr gut war´s! 

Damit ist der Menüplan zementiert…

Viele Paare kennen ihre gegenseitigen Vorstellungen kaum, weil man nie darüber redet - die Ursache für viele Missverständnisse. Das ist in allen Lebensbereichen so, auch beim Sex - 30 Jahre Leberkäse ist ja auch fad…

Liebt ein Partner nur die Vorstellung, die er sich vom anderen gemacht hat, nicht aber den anderen selbst, geht das nicht lange gut. Da gibt´s nur eines: miteinander reden, einander zuhören, nicht kommentieren oder werten, sondern versuchen zu verstehen - das ist der Schlüssel, um die verschiedenen Vorstellungen besser kennen zu lernen. 

“Mit den Augen des anderen sehen, mit den Ohren des anderen hören, mit dem Herzen des anderen fühlen”. (Alfred Adler, Begründer der Individualpsychologie)

Emotionen     

Auf einen kurzen Nenner gebracht, könnte man Emotionen als negative Gefühle und Gefühle als positive Emotionen bezeichnen.

Diese Definition ist nicht die meine, ich finde sie zu vereinfachend - in der heutigen wissenschaftlichen Psychologie sieht man die Dinge doch etwas differenzierter.

Ich würde eher von sozial störenden Gefühlen sprechen, die das Zusammenleben und -arbeiten negativ beeinflußen, der Sand im Getriebe. Sie sind “sterblich”, weil sie nicht ewig dauern, nicht mal für die Dauer eines Menschenlebens. Niemand kann bis zum letzten Atemzug immer nur zornig oder ungeduldig sein - oder Ähnliches.

Die “unsterblichen” Gefühle sind diejenigen, die unser Zusammenleben bereichern und erleichtern, weil sie dauerhaft sind wie die Liebe, Zuneigung, Zugehörigkeit - auch über den Tod hinaus.

“Vertrauen und Achtung sind die beiden unzertrennlichen Grundpfeiler der Liebe, ohne welche sie nicht bestehen kann”. (Heinrich von Kleist)

Warum ist diese echte Liebe so viel seltener als unsere negativen Gefühle? Es ist die Entmutigung, der wir überall begegnet sind und begegnen, in der Schule, im Beruf, in der Freizeit - und auch in der Partnerschaft, weil wir Entmutigung besser gelernt haben als Ermutigung.

Nur wer selbst mutig ist, kann andere ermutigen - und unsere Eltern wussten es einfach nicht besser, sonst hätten sie´s auch anders gemacht.                                                             

Wir können es lernen, für unsere Partner, unsere Kinder, im weiteren Sinne auch für andere Menschen, denen wir begegnen.   

Nur ein mutiger Mensch ist fähig, wirkliche Liebe zu erleben.   

Wir reagieren meistens impulsiv auf äußere Eindrücke. Diese Impulsivität bietet uns natürlich viele Entschuldigungsmöglichkeiten für schlechtes Verhalten. Dies zu erkennen ist nötig, wenn wir friedlicher und weniger aggressiv werden wollen. 

Es gibt kaum negative Alltagsituationen, denen ich nicht doch etwas Positives abgewinnen kann. Und wenn´s nur das ist, wie man´s  nicht macht.

Dadurch werde ich kritischer, lerne, Menschen und Situationen besser einzuschätzen, ich werde sachlicher und auch gelassener (ich kann niemanden ändern, höchstens mich selbst - und das ist schon nicht einfach…).  

Ich komme vom bloßen Reagieren zum Agieren, d.h. ich mache mich emotional unabhängig vom äusseren Einfluss.

Ich werde damit auch optimistischer. Optimismus ist der Glaube an das Positive, eine lebensbejahende Erwartungshaltung - und damit die einzige berechtigte Lebenseinstellung. 

Der Pessimist sagt: “Ich hab´s gewusst - das musste ja schief gehen!”

Der Optimist sagt: “Das nächste Mal klappt´s besser!”

Der Pessimist entscheidet sich für das Gefühl der Enttäuschung. Dabei ist das doch das Beste an der             Ent-Täuschung, daß die Täuschung nun vorüber ist…            

Ichbezogenheit

Ichhaftigkeit ist vielleicht der am schwierigsten zu überwindende Faktor im Entzweiungssyndrom. Sie entsteht aus dem Gefühl der Minderwertigkeit, dem zu geringen Glauben an sich selbst, der Entmutigung. Ichhafte Menschen haben immer Angst. Je weniger Mut einer hat, desto mehr ist er auf sich bezogen. Das kann er nach aussen hin oft gut verbergen, man merkt es ihm nicht sofort an, doch innerlich ist er unglücklich, misstraurisch, dünnhäutig, unzufrieden. 

Ichhaftigkeit, Egozentrizität darf nicht mit Egoismus verwechselt werden - der Egoist ist immer ichbezogen, während der Egozentriker nicht unbedingt ein Egoist sein muss. Er ist oftmals grosszügig, freigiebig, und überdeckt damit sein mangelndes Selbstwertgefühl.

Geistiger zu werden ist ein Ziel, das man anstreben kann. Der egozentrische Mensch benützt den Maßstab “überlegen/unterlegen”, während der geistige Mensch Gemeinschaftsgefühl zum Maßstab nimmt.

Der Egozentriker fordert vom Partner Beweise der Liebe, der geistige Mensch zeigt seine Liebe in Taten.

Die vier Faktoren des Einigkeitssyndroms Gerechtigkeit, Erkenntnis, Liebe und Glaube haben all den gleichen Maßstab. In einer solchen Beziehung ist mir der Partner immer wichtiger als ich mir selbst. Wenn beide diese Grundhaltung haben, sind alle Probleme gemeinsam bewältigbar.

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Ich habe dies alles angeführt, um verstehbar zu machen, wie es zum Stillstand, der Erstarrung, dem Schweigen in der Beziehung kommen kann. Beide Partner sind zutiefst entmutigt, glauben nicht mehr, noch etwas bewirken zu können, geschweige den Partner zu “erreichen”, daher der Rückzug in die Sprachlosigkeit, diese Form der inneren Emigration.

Als Paar alleine aus dieser dunklen Kammer heraus zufinden, ist natürlich möglich, aber es gleicht eher der Suche nach dem Ausgang im Labyrinth. Da ist es besser und in jedem Fall hilfreich, fachliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, jemand, der den Lageplan hat, weiß, wo der Ausgang ist und beide geduldig dorthin begleitet und führt - und Orientierung für den weiteren Weg mit gibt. Ob das Paar diesen Weg dann gemeinsam gehen möchte oder jeder für sich alleine, hängt einzig von der Einstellung der beiden ab, wie sie zueinander stehen und, ob ihre Lebensziele noch zusammenpassen.