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Schuldgefühle - wer kennt sie nicht

“Schuldgefühle sind unanständig”, hat Friedrich Nietzsche gesagt. Da könnte man sich denken: `Toll, wann immer ich jemanden verärgert, gekränkt, emotional verletzt habe, muss ich mich nachher nicht schuldig fühlen. Wem nützt das schließlich schon?Ganz so einfach ist das nun auch wieder nicht. Anständiger ist man deshalb auch nicht. Doch dazu später mehr. Auf zwei Arten von Schuldgefühlen möchte ich hier näher eingehen.

Die einen sind die, die uns Andere sprichwörtlich “einreden” wollen - weil wir irgendetwas nicht so gemacht haben, wie sie das wollten, angeblich etwas falsch gemacht haben, vielleicht sogar absichtlich, weil wir uns nicht ihren Erwartungen entsprechend verhalten haben (die klassische Konfliktsituation in Beziehungen), weil…Die Liste kann man beliebig lange fortführen. Meistens fühlen wir uns bei oder nach einem solchen Angriff auf unser Selbstwertgefühl wie vor den Kopf gestoßen, verunsichert, unterlegen, minderwertig. Gerade eben das beabsichtigt der Andere: wenn wir uns schuldig fühlen, sind wir leichter manipulierbar für Menschen mit einem neurotischen Machtanspruch.

Passiert so etwas nur ein einziges Mal, weil jemand seinem Ärger gerade Luft macht, wird das anschließend ausgeredet und das Thema ist damit abgehakt. 

Ich meine jedoch diese Situationen, die immer wiederkehren, in denen dieses “System” ein ständiger Bestandteil der Kommunikation ist. Hinter dieser Maske verbirgt sich, trotz allem zur Schau getragenen “Selbstbewusstsein”, eine ichhafte, angstgetriebene Persönlichkeit mit einem geringen Selbstwertgefühl, oftmals mit zwangsneurotischen Zügen. 

Je besser unser eigenes Selbstwertgefühl ist, je mehr Resilienz wir haben, umso rascher erkennen wir die Absichten des Anderen und können mit unserem Handeln Grenzen setzen. Das wird vielleicht nicht immer möglich sein, je nachdem, in welcher Beziehung wir zum Anderen stehen - bei einem wirtschaftlichen oder auch emotionalen Abhängigkeitsverhältnis ist es mitunter sehr schwierig. Ob privat oder beruflich, es ist in jedem Fall eine “toxische Beziehung”, aus der man sich letztlich lösen und befreien muss. 

Leichter gesagt als getan…

Es würde den Rahmen dieses Blogs sprengen, auf jede mögliche Konstellation einzugehen, derlei muss man immer individuell abklären.

Die zweite Art von Schuldgefühlen ist die, mit denen wir uns, oft jahrzehntelang, selbst quälen. Haben wir jemanden unwissentlich,”unbeabsichtigt” verärgert, gekränkt, verletzt, es wird uns danach selbst bewußt oder wir werden darauf hingewiesen, entwickeln wir Schuldgefühle i.S. von “Das wollte ich wirklich nicht, das musst du mir glauben!” Nicht wissentlich, doch beabsichtigt war unser Tun, denn diese Entscheidungsprozesse laufen aus Gründen der Ökonomie unterbewusst ab - schließlich kann niemand anderer als ich selbst das entscheiden. Jetzt kommt der “moralische” Aspekt dazu - man will sich im Nachhinein vor den anderen und auch vor sich selbst als besserer Mensch fühlen und darstellen. Also Schuldgefühle - wenn man die hat und zeigt, kann man doch so ein schlechter Mensch nicht sein. Ein psychologischer Trick - durch diese “Selbsterniedrigung” werte ich mich moralisch auf - und hoffe, daß die Anderen mich nicht verurteilen.

Unanständig, wie Nietzsche gesagt hat.

“Schuldgefühle sind der sichtbare Ausdruck der guten Absichten, die man ohnedies nie gehabt hat.”

Autsch, das tut weh - der Finger auf der Wunde der moralischen Selbsterhöhung.

Noch ein Nachsatz: “Schuldgefühle sollte man VORHER haben”.

Ja, sollte man… da hätte man sich und Anderen so manchen Unsinn erspart. Beide Sätze hat Rudolf Dreikurs formuliert, ein Schüler und späterer enger Mitarbeiter von Alfred Adler. Er hat die Individualpsychologie in den USA populär gemacht und Ausbildungsinstitute gegründet, die ausgezeichnete Psychologen hervorgebracht haben. Ich hatte das Glück, in vielen Jahren bei einigen von ihnen lernen zu können.

Bleibt die Frage, wie geht man diesen Schuldgefühlen um? Das Gebot des Augenblicks: sich selbst gegenüber ehrlich sein. Das kann und muss man allmählich lernen - wenn man bis dahin erfolgreich das Gegenteil geübt und angewendet hat. “Ich habe mich selbst dazu entschieden…, sonst hätte ich es auch nicht getan”. 

Verändern, weiterentwickeln kann man sich nur, wenn man erkennt, was die eigene Absicht war, dies auch akzeptiert und an sich arbeitet.

Unbequem - aber es funktioniert.

Zum guten Ende noch ein Zusammenhang: Schuldgefühle sind das größte Hindernis bei der Entwicklung der Persönlichkeit. Wir bremsen uns quasi selber aus. 

Äh - wie das denn ???

Ganz einfach (gesagt): mittels der Schuldgefühle verharren wir in der Vergangenheit, starren gebannt auf etwas, was vorüber und ohnedies nicht mehr zu verändern ist, anstatt nach vorne zu schauen und uns der positiven Bewältigung unserer Lebensaufgaben zu widmen.

Noch Fragen?