DE | EN | PT

Sexualität im Alter

Oder ist sie Privileg nur jüngerer Menschen, die noch keine Einschränkungen körperlicher Funktionen haben? Nein, keineswegs.

Der Mensch ist eine “physiologische Frühgeburt”, wie Adolf Portmann, Schweizer Anthropologe, es genannt hat  - wir sind in den ersten Lebensjahren nicht nur angewiesen, sondern auch völlig abhängig von der Fürsorge, Zuwendung und Liebe unserer Bezugsperson. Der Wunsch nach Zugehörigkeit ist angeboren, nicht erst erlernt durch unsere sozialen Kontakte. Das hat man durch zahlreiche Beobachtungen und Studien in Kliniken herausgefunden - Babies und Kleinkinder wurden körperlich versorgt mit Nahrungsaufnahme und Hygiene, aber sonst nicht beachtet und betreut. Dadurch entstanden Entwicklungsstörungen mit deutlichen emotionalen Defiziten - der sogenannte Hospitalismus.

Dieser Wunsch nach Zugehörigkeit begleitet uns bis zum letzten Atemzug, in der Altenpflege und besonders  in Palliativ-Einrichtungen weiss man, wie wichtig Zuwendung und Berührungen sind. 

Soweit dieser kurze Exkurs in die Psychologie.

Sexualität ist der körperliche Ausdruck dieses Wunsches nach Zugehörigkeit - auch wenn´s nicht immer so den Anschein hat, weil es bei manchen dating-Portalen vordergründig nur um Sex geht. 

Das Alter führt uns gnadenlos unsere Endlichkeit und Vergänglichkeit vor Augen. Es ist meistens ein langsamer Abschied. Und gerade deshalb dürfen wir nicht resignieren und sagen: eh schon alles vorbei.

Philemon und Baucis haben das erkannt und die Chance ergriffen - von Gabriel Garcia Marquez beeindruckend erzählt in dem Roman “Liebe in Zeiten der Cholera”.

Ich möchte zwei Episoden erwähnen, die ich erlebt habe.

Einer Klientin wurde ich empfohlen, zu Zeiten, als es noch kaum handys und noch keine PCs gab, das Festnetz-Telefon noch Bestandteil fast eines jeden Haushalts war. Ich hatte sie nie persönlich kennengelernt, sie wohnte in der Südsteiermark, also unwirtschaftlich, für ein paar Termine nach Salzburg zu fahren.  Sie war 74 Jahre alt, nach 47jähriger Ehe ist ihr Mann vor kurzem verstorben. Sie hatten eine sehr gute, harmonische Beziehung, das Gespräch hatte einen hohen Stellenwert. Sexuell waren sie sehr aktiv, monogam, haben immer über alle Wünsche und Vorlieben gesprochen und sie auch gelebt… Sie erzählte, daß ihr der Sex mit ihrem Mann sehr fehle, `ich brauche einfach meinen täglichen Orgasmus, klar geht das auch alleine, aber doch lieber mit einem Mann zusammen`. Nach so einer langen und vor allem guten Beziehung ist man natürlich wählerisch - was die Suche nicht leichter macht. Sie hat mit ihren Freundinnen darüber gesprochen, die haben aber gar nicht so positiv darauf reagiert wie erhofft - vielleicht auch aus Neid, weil bei ihnen in der Beziehung schon tote Hose war. `Was willst du noch Sex in diesem Alter, der ist was für Jüngere, sei einfach vernünftig, irgendwann ist damit einfach Schluss´.

Meine Gegenfrage: was soll denn dabei vernünftig sein, im Alter keinen Sex mehr zu wollen oder nicht mehr wollen zu sollen? Und wer bestimmt, wann Schluss damit ist? Das sollte sie mal ihre Freundinnen fragen. Da gibt´s sicher ein paar lange Gesichter als Antwort…

Ich fragte sie, ob sie diesen Spruch kennt:

Fange nie an, aufzuhören, höre nie auf, anzufangen.

Wenn sie sich etwas Gutes tun möchte, soll sie nicht auf ihre frustrierten Freundinnen hören, sondern sich wieder einen Partner suchen. Vielleicht müsse sie ein paar Frösche küssen, bevor der Prinz vor ihr steht. Würde mich jedenfalls freuen zu wissen, wenn´s geklappt hat. Ja, hat es - nach ein paar Monaten rief sie mich freudig an und sagte lachend, sie habe nur wenige Frösche küssen müssen, vor ein paar Monaten den Prinzen gefunden, 10 Jahre jünger als sie, sind schon zusammengezogen! 

Die innere Einstellung macht es aus, der Mut, sich auf Neues und einen neuen Menschen einzulassen - ohne gleich Sicherheit haben zu wollen. 

Ich hatte für mehrere Jahre immer wieder Paar-Seminare abgehalten, meistens von Freitag abends bis Sonntag nachmittags - viele hatten eine lange Anreise auf sich genommen.

Einmal an so einem Wochenende, es war wieder mal ausgebucht, mit 10 Paaren, war das älteste Paar dabei, das jemals bei mir in einem Seminar war, sie 78 und er 83 Jahre alt. Ich frage die Teilnehmer nie nach ihren Erwartungen - die kann ich wahrscheinlich eh nicht erfüllen, sondern danach, was sie in diesen Tagen lernen, für sich mitnehmen möchte. Bei der Vorstellung erwähnten sie, daß sie einen Bauernhof hatten, den jedoch schon vor vielen Jahren an eines ihrer fünf Kinder übergeben hatten und sich entschlossen, nach den arbeitsreichen Jahren das Leben zu genießen und immer noch dazu lernen wollen. Ich bedankte mich für ihre Anwesenheit und meinte, daß eher wir vieles von ihnen lernen könnten. In der Gruppe waren alle Generationen vertreten, die jüngste Teilnehmerin war 21 Jahre alt. Freitag abends ging´s also los, geplant war, um 22 Uhr aufzuhören, aber alle fanden es so spannend, dass es dann Mitternacht wurde. 

Samstag um 0900 wieder weiter, alle unglaublich präsent und wißbegierig, solche Gruppen sind ein Geschenk für jeden, der mit ihnen arbeitet. Am späteren Nachmittag kam dann der Wunsch, das Thema Sexualität in den Mittelpunkt zu stellen. Nachdem einige intime Fragen behandelt wurden, kam dann die vorsichtig geäußerte Neugier, wie denn die beiden Ältesten dazu stehen. Ich fragte sie, ob sie darüber reden wollen, was Sex für sie bedeutet, ob das Thema aktuell ist in ihrem Leben. Die Antwort war gänzlich offen und entspannt: `wir ziehen uns nach dem Mittagessen völlig aus und streicheln uns - wir wissen ja mittlerweile, was jeder gerne hat, machen das sehr bewußt - denn schließlich weiss keiner von uns, ob der andere morgen noch da ist`. Da war kurzes Schweigen, doch dann konnte niemand mehr die Tränen zurückhalten. Als auch ich mich wieder gefangen hatte, sagte ich, ich habe noch nie so etwas Schönes gehört, wie emotionale Geborgenheit täglich gelebt wird. Die 21Jährige hat dann ganz spontan gefragt, wie das dann ist, wenn sich bei ihm “was rührt”. Kurz dachte ich, jetzt kommt peinliches Schweigen, aber nein, die Bäuerin lachte schallend und sagte: Ja, DAS muss man gleich ausnutzen!” 

Dann haben wir Tränen gelacht…  

Sex im Alter - es kann auch sehr heiter und lustig sein.